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Euer Podcast rund ums Rollenspiel und Nerdtum

Erschöpfung

Autorin: Caroline Weber, Mai 2020

Altersempfehlung: 16+ Jahre

Lektorin: Elke Staron (... danke Mama!)

Inhalte: seelische u. körperliche Gewalt, erotische Szenen

Lesezeit: ca. 10 Minuten

Zuerst muss das Hotel informiert werden und direkt danach, der Limousinen-Service. Sie ist bemüht, ihre Aufgaben so genau wie möglich zu erfüllen, um sich die Gunst ihrer Chefin zu erhalten. Eine ihrer Schützlinge zu sein, ist eine gewaltige Ehre und die Aussicht auf Unsterblichkeit, etwas, das wahrscheinlich nur die Wenigsten ausschlagen wurden. Es sind nun schon sechs lange Jahre in den Diensten einer Unsterblichen. Jedes Mal von neuem gibt es Botengänge, die erledigt werden müssen. Jedes Mal von neuem gibt es Protokolle, die geschrieben werden müssen. All die Arbeiten, die einer Unsterblichen zu nieder sind, sind ihr Aufgabengebiet. Derweil hegt sie nur den einen Wunsch, endlich im Kreis der Unsterblichen aufgenommen zu werden, endlich ihr Potential entfalten zu können, ihrer wahren Bestimmung zu folgen. Sie ist zu Höherem bestimmt. Das sagte schon ihr Vater in Kindheitstagen. Sie war glücklich. Die Arbeit machte ihr anfangs Spaß und als sie erfuhr, für wen sie da arbeite war ihre Motivation 'gen Himmel gestiegen. Die Aussicht auf ein nicht endendes Dasein erweckte in ihr den Wunsch und die Vorstellung einfach alles erreichen zu können. Kein Ziel wäre mehr zu fern, keine Reise mehr zu lang und kein Weg zu weit. Doch nach sechs langen Jahren ist sie erschöpft. Sie ist ausgezehrt von der stupiden und eintönigen Beschäftigung, von den knietiefen Verbeugungen und der permanenten Angst, ihrer Chefin nicht zur Unsterblichkeit zu genügen und letztendlich doch nur als Zwischenmahlzeit zu enden. 

Sei es drum. Die Dinge müssen erledigt werden und das ist nun mal ihre gottverdammte Pflicht. Sie tätigt die Buchung im Hotel und bestellt die Limousine zum Flughafen. Es wird hoher Besuch erwartet, der einen weit höheren Rang inne hat als ihre Chefin. Jemand ganz besonderer Stellung, ein Prinz. Es darf nichts schief gehen. Es muss alles zur Zufriedenheit der Hoheit geschehen. Sie ist erschöpft, aber das hält sie nicht von ihrer Pflichterfüllung ab. Ein letztes Telefonat, eine letzte Aktennotiz und sie würde nach Hause gehen können. Dann geschieht es. Der Anfang jener Nacht, die ihr Dasein für immer ändern sollte. Sie ist gerade dabei, ihre Sachen zu nehmen und den Weg zum Auto einzuschlagen, als ihre Chefin in der Tür auftaucht. Sie soll jetzt den Gast in Empfang nehmen. Sie soll ihn mit der Limousine am Flughafen abholen, ins Hotel geleiten und danach zum Restaurant begleiten. Ihre Chefin wurde später dazu kommen. 

Sie ist erschöpft. Sie ist müde. Doch das ist nicht der Moment, um Schwäche zu zeigen. Sie nickt und willigt der ungewollten Aufforderung ein. Was hat sie auch für eine Wahl. Keine. Würde sie sich weigern, wäre sie morgen eine namenlose Leiche im Fluss. Sie ist das Eigentum ihrer Chefin und wenn deren Spielzeug kaputt geht, wird es entsorgt. So sieht es aus, ihr Leben im Dienst einer Unsterblichen. Sie ist ein Spielzeug, eine Aufziehpuppe, die zu funktionieren hat, ohne Stimme und ohne Würde. Sie ist erschöpft.

Sie legt ihre Autoschlüssel wieder zurück und nimmt sich nach einem kurzen Telefonat mit dem Limousinen-Service ein Taxi, um möglichst zeitgleich mit der Limousine am Flughafen anzukommen. Sie ist nervös. Auch er ist ein Unsterblicher und mit fremden Spielzeug gehen sie meist noch weniger sorgsam um. Sie hat Angst. Sie hält ein Schild in der Hand, dass den Prinzen auf sie aufmerksam machen soll. Dann ist es soweit. Das Flugzeug landet und die Passagiere steigen aus. Fast ein dutzend Personen sind es, aber ihn, den Prinzen, kann man nicht übersehen. Er hat eine atemberaubende Ausstrahlung. Alle Blicke der Anwesenden sind auf ihn gerichtet, es scheint nichts Wichtigeres hier zu sein als er. Sie steht nervös mit dem Schild neben der Limousine und wartet geduldig auf den Prinzen, der noch mit einigen Personen im Gespräch ist. Bis er plötzlich seinen Blick starr auf sie richtet. Aus Gewohnheit und Ehrfurcht senkt sie augenblicklich ihren Kopf zu Boden. Augenkontakt ist nicht gestattet. Sie wartet mit gesenktem Haupt auf seine Ankunft an der Limousine. Sie spürt, wie er sich langsam nähert. Ihr Herz rast wild in der Brust und ihr wird übel vor Aufregung. Sie darf es sich nicht anmerken lassen. Sie darf keine Schwäche zeigen. Sie ist erschöpft.

Nachdem der Prinz einstieg und die Limousine sie und ihn zum Hotel brachte, ist es an ihr, die Tür des Gefährts zu öffnen und den Prinzen aussteigen zu lassen. Gerade als sie ihre Hand zum Griff streckt, öffnet sich die Tür und der Prinz steigt selbständig aus. Sie errötet und schämt sich, dass sie nicht schnell genug war. Ihr Haupt neigt sich wieder zu Boden und sie entschuldigt ihr Ungeschick. Dann geschieht es, etwas so unerwartetes, dass sie starr wurde vor Angst. Er berührte ihr Kinn und hebt mit seiner Hand langsam ihren Kopf nach oben. Seine Berührung fühlt sich eiskalt an. Er ist ein Unsterblicher, kein Zweifel. Sie hebt den Kopf und schließt vorher schnell die Augen. Blickkontakt ist nicht erlaubt. Er hält weiter ihren Kopf fest. Sie spürt, wie sein Blick an ihr haftet. Sie hat Angst. Sie würde die Leiche sein, die man morgen am Fluss findet. Unzählige, lange Augenblicke vergehen, in denen ihr Herz fast aus der Brust zu springen scheint. Eine Träne bahnt sich den Weg aus ihren zusammengekniffenen Lidern. Sie ist erschöpft. Sie ist verzweifelt.

Endlich lässt er sie los. Endlich wendet er den Blick ab. Sie dreht sich weg. Er darf ihre Schwäche nicht sehen. Sie reißt die Augen auf und versucht mit aller Macht ihre Tränen zurückzuhalten. Beruhigt und froh, dass sie diese Nacht vielleicht doch überleben könnte, geht sie vor zur Rezeption und meldet den Gast an. Er soll nicht reden müssen. Es ist ihre Aufgabe, ihn kontaktlos durch die Stadt zu führen. Er ist ein Hochwohlgeborener, ein Prinz, ein Unsterblicher. Er kann ihr Genick durchtrennen, als wäre es ein Streichholz. Die Anmeldung geht reibungslos von statten. Sie muss ihn nun zu seinem Zimmer geleiten. Sie neigt wieder ihren Kopf nach unten, nimmt den Schlüssel von der Rezeptionistin entgegen und wartet geduldig darauf, den Prinzen nach oben führen zu können. Sie steigen in den Fahrstuhl. Schweigend steht sie mit dem Rücken zu ihm direkt an der Tür. Sie spürt, wie sein Blick an ihr haftet, wie er sie anstarrt und kein Detail ihrer Erscheinung auslässt. Sie ist das Spielzeug. Sie ist das Ding, was jederzeit ausgetauscht, verschenkt oder entsorgt werden kann. Erneut beginnt ihr Herz zu rasen und Panik steigt in ihr auf. Der Fahrstuhl beendet seinen Aufstieg und die Türen öffnen sich. Sie darf keine Schwäche zeigen. Mit ruhigem Schritt läuft sie den Flur entlang in der Gewissheit, dass er ihr dicht folgt. Mit einem vorsichtigem Blick nach unten, sieht sie seine Schuhe hinter ihr. Die schwarzen Anzugschuhe aus Leder folgen abwechselnd ihrem Schritt. Sie sind angekommen. Das ist die Zimmertür. Sie schließt auf, öffnet die Tür mit leichtem Schwung nach innen und weicht zur Seite, den Blick nach unten gesenkt, damit er ungesehen hindurchtreten kann. Jetzt muss sie nur noch warten. Warten, dass er zufrieden ist. Es ist das beste Hotel der Stadt und das teuerste Zimmer. Besser geht es nicht. Sie hat Angst. Sie ist erschöpft.

Nachdem er das Zimmer betreten hat, stellt sie sich mit dem Rücken zur Zimmertür in den Flur und wartet geduldig darauf, dass er wieder heraustritt. Plötzlich packt sie etwas am Genick und zieht sie nach hinten in das Zimmer. Sie hält mit aller Macht einen Schrei zurück. Sie kneift die Augen zusammen und wehrt sich nicht. Blickkontakt ist unter allen Umständen nicht gestattet. Sie ist das Spielzeug. Sie bleibt starr stehen. Er hat sie nur nach drinnen gezogen und wieder losgelassen. Sie blickt nach unten und sieht, wie die schwarzen Lederschuhe ihren Weg um sie herum suchen und direkt vor ihr stehen bleiben. Er steht so dicht an ihr, dass sie die statische Aufladung der Fasern seiner Kleidung an ihrem Haaransatz spüren kann. Er atmet nicht und keine Wärme verlässt seinen Körper. Ihr Herz rast, die Panik wird unerträglich. Sie wird die Leiche sein, die morgen früh am Fluss gefunden wird. Erneut wird sie gepackt. Diesmal von vorn an der Kehle. Seine Hand ist immer noch eiskalt und mit übermenschlicher Kraft drückt er sie gegen die Wand. Sie bekommt keine Luft mehr. Ihre Schuhe berühren kaum noch den Boden. Sie kneift ihre Augen zusammen und versucht mit aller Kraft ihr Gesicht trotz des groben Griffs vom Prinzen abzuwenden. Wieder bahnen sich ihre Tränen den Weg nach draußen. Ihr Herz rast wild in der Brust. Er steht direkt vor ihr, sie kann die kleinen Härchen seiner Gesichtshaut auf ihrer Wange spüren. Sie hat schreckliche Angst. Er wird sie töten, er wird sie entsorgen. Sie war zu ungeschickt. Dann lässt er plötzlich los. Langsam sinkt sie nach unten, bis ihre Schuhe wieder den Boden berühren. Weiterhin wendet sie ihr Gesicht ab. Eine erste Träne hat es geschafft, ihre zusammen gekniffenen Lider zu verlassen. Er steht immer noch dicht vor ihr, sie kann nicht an ihm vorbei. Sie bleibt regungslos stehen. Sie hat verstanden.

Langsam beginnt sie, ihre Bluse zu öffnen. Er bewegt sich nicht und starrt sie weiterhin nur an. Sie streift ihre Bluse von den Schultern und der seidene Stoff landet lautlos auf dem Parkettboden. Sie öffnet den Reißverschluss ihres Rockes, während sich eine zweiten Tränen den Weg nach draußen bahnt. Sie darf keine Schwäche zeigen. Sie lässt den Rock nach unten sinken. Er geht einen Schritt von ihr weg. Sie ist verunsichert. Vorsichtig öffnet sie ihre Augen. Er hat eine Tasche und holt einen schmalen weißen Karton heraus, den er ihr reicht. Blickkontakt ist verboten. Sie streckt ihren Arm aus ohne den Kopf anzuheben und greift nach dem unerwarteten Präsent. Nachdem sie den Deckel öffnete, offenbarte sich ein schwarzes Seidenkleid, das mit silbernen Stickereien verziert ist. Das muss unglaublich teuer gewesen sein. Sie zieht es an. Es passt perfekt. Er geht zur Tür und sie spürt, dass er gehen möchte. Schnell zieht sie ihre Schuhe an, die unerwartet gut zum Kleid passen und eilt gesenkten Blickes zur Tür, um sie ihm gebührend zu öffnen. Ihre schlimmste Befürchtung sollte sich jetzt scheinbar noch nicht erfüllen. Erleichtert begleitet sie ihn zur Limousine. Die Fahrt zum Restaurant ist erdrückend schweigsam. Sie sitzt ihm gegenüber und hat ihren Blick konsequent nach unten gerichtet, während er sie ununterbrochen anstarrt. Sie ist nervös und verzweifelt, aber sie darf keine Schwäche zeigen. Sie ist erschöpft. 

Ihre Augen füllen sich ungewollt mit Flüssigkeit und eine Träne landet stumm auf dem Samtboden der Limousine. Diesmal öffnet der Chauffeur die Tür. Der Prinz steigt zuerst aus und reicht ihr seine Hand. Die Etikette verlangt, dass sie sie ergreift, also tut sie es. Eises Kälte erwartet sie beim Griff nach ihm. Sie hält es aus, sie darf keine Schwäche zeigen. Leicht hinter ihm her laufend betritt sie das Restaurant. Er verlangt, dass sie neben ihm Platz nimmt. Sie hat ihre Arbeit gewissenhaft erledigt, weshalb sie genau seine Vorlieben kennt. Sie bestellt a la carte, was seinem Geschmack entspricht. Steak und Wein, das mochte damals auch ihr Vater. Jeden Sonntag aßen sie gemeinsam als Familie am Tisch. Doch diese Zeiten waren längst vorbei. Irgendwie wird sie diese Nacht vielleicht doch überleben können. Ihre Anspannung schwindet langsam und sie ist beruhigt, als sie während der Unterhaltung zwischen dem Prinzen und ihrer Chefin bemerkt, dass er nichts von ihren Ungeschicklichkeiten erwähnt. Der Abend ist vorüber. Sie muss ihn ein weiteres Mal begleiten und sicher stellen, dass er ungestört im Hotel ankommt. Ihre Nervosität ist zurück. Hoffentlich macht sie keine weiteren Fehler. Wieder sitzt sie ihm gegenüber während der Fahrt. Wieder starrt er sie unablässig an. Wieder fällt stumm eine Träne zu Boden. Sie ist erschöpft. 

Diese Nacht fühlt sich länger an als die letzten sechs Jahre. Die Limousine hält. Wieder muss sie seine Hand ergreifen, wieder ist sie eiskalt. Sie betritt das Hotel und wartet mit ihm auf den Fahrstuhl. Sie hat Angst. Als sich die Tür öffnet, fühlt sie, wie er sie langsam vorwärts schiebt um einzusteigen. Sie hatte lächerlicherweise geglaubt, er würde ab hier allein weiter gehen. Da war sie, die dritte Verfehlung. Eine weitere Ungeschicklichkeit, die er ihr mit Sicherheit nicht mehr verzeihen würde. Sie fühlt, wie ihre Angst und Panik versuchen, sie zu beherrschen. Sie sind allein im Fahrstuhl und wieder spürt sie seinen Blick an ihr haften. Sie spürt, wie er sie unablässig betrachtet, während er nur wenige Zentimeter hinter ihr steht. Sie kneift die Augen zusammen und bereitet sich auf jede Brutalität vor, die jetzt folgen könnte. Diesmal hält sie ihre Tränen nicht zurück Diesmal finden sie ungehindert den Weg ihre zarten Wangen entlang. Hoffentlich kann sie wenigstens das Kleid anlassen, um mit einem Funken restlicher Würde im Fluss gefunden werden zu können. Hoffentlich bleibt ihr Gesicht erhalten, um dass ihr geliebter Vater sie ein letztes Mal ansehen kann. Auch nach sechs Jahren würde er sie wiedererkennen. Er würde sie beerdigen und vermissen, wie er es vermutlich bereits tut. Weitere Tränen gleiten ihre Wangen entlang. Sie ist erschöpft.

Der Fahrstuhl ist angekommen und öffnet seine Türen. Wieder schiebt er sie nach vorn zum Aussteigen. Erneut läuft sie den Gang entlang zum Zimmer des Prinzen und wieder sieht sie, wie seine Lederschuhe ihr abwechselnden Schrittes folgen. Ihr Herz scheint vor Panik jeden Moment aus ihrer Brust zu springen. Ihr wird schwindlig und sie hat das Gefühl, dass sich ihr Sichtfeld verkleinert. Nur ein kleines, rundes Sichtfenster hinterbleibt von ihrer Wahrnehmung. Sie ist bereit. Ihre Erschöpfung hat gewonnen. Nun hat sie keine Angst mehr. Sie öffnet die Zimmertür und spürt erneut, wie er sie vorwärts in das Zimmer hinein schiebt und die Tür schließt. Plötzlich ergreift er sie an ihren Oberarmen und reißt die wild herum. Wieder berühren ihre Schuhe den Boden kaum und fallen der Schwerkraft folgend von ihren Füßen. Sie kneift die Augen zusammen. Blickkontakt ist untersagt. Ihre Tränen laufen unablässig ihr Gesicht hinab. Es gibt keinen Grund mehr sie zurückzuhalten. Sie ist verloren. Mit kräftigem Schwung wirft er sie rückwärts durch das Zimmer und sie landet sanfter als erwartet mit dem Rücken auf dem Bett. Sie hat verstanden, er ist noch nicht fertig mit spielen. Sie lässt ihre Augen geschlossen, dennoch bemerkt sie, wie er das Licht ausschaltet. Sie würde einfach liegen bleiben und warten, dass es zu Ende geht. Dass er sich nimmt, wonach es ihm gelüstet und sie von ihrer Verpflichtung letztendlich befreit. Still fließen weitere Tränen aus ihren Augen, bis sie plötzlich die Nähe seines Körpers spüren kann. Er ist genau über ihr. Sie fühlt, wie sich die Matratze rechts und links von ihr einsinkt. Sie hat nun nichts mehr zu verlieren. Die Panik ist purer Akzeptanz gewichen. Ihren Mörder, will sie dennoch wenigstens einmal ansehen und sie öffnet ihre Augen. Sein Gesicht ist direkt über ihrem, er ist so nah, dass sich ihre Lippen fast berühren und er blickt sie streng an. Seine Augen sind hellgrau, fast weiß, sein Blick wirkt bestialisch und sie spürt, wie ihn wilde Gier überkommt. Der Anblick ist entsetzlich und zugleich faszinierend. Er wird es sein, der sie tötet. Sie schließt ihre Augen und erwartet das Unaufhaltsame. Nur einen Augenblick später wird ihr Oberkörper nach oben gerissen und sie spürt für kurze Zeit den stechenden Schmerz eines gewebedurchtrennenden Bisses. Sie fühlt wie ihre Glieder immer schwächer werden, wie das Leben aus ihren Adern gesaugt wird. 

Da ist es, das lang ersehnte weiße Licht am Ende das Tunnels. Sie braucht nur hindurch schreiten und die Erschöpfung ist vorbei. Es tut ihr Leid, dass sie ihrem Vater nicht beweisen konnte, dass er Recht hatte. Er hatte sich in ihrer Bestimmung geirrt. Sie ist den falschen Weg gegangen. Und dieser hier, wird ihr letzter sein. Ihr Oberkörper sinkt langsam nach unten und liegt leblos auf dem Bett. Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen. Ihre Tränen sind versiegt, wie ein Fluss ohne Wasser. Er hat endlich von ihr abgelassen und lässt sie einfach liegen, wie ein gebrauchtes Taschentuch. 

Die Dunkelheit im Zimmer weicht einem flackerndem Neonlicht aus dem Badezimmer. Er ist zum Spiegel gegangen und beseitigt die wenigen Spuren ihres Blutes aus seinem Gesicht. Danach schaltet er das Licht wieder aus und bleibt regungslos vor dem Bett stehen. Ihre Erschöpfung war unerträglich, sie war am Ende. Es wurde Zeit. Er wartet geduldig im Dunkel des Zimmers. Die letzte Träne trocknet langsam auf ihrer bleichen, kalten Wange, als sie plötzlich ihre hellgrauen, fast weißen Augen wieder öffnet.

Sechs lange Jahre hat er alles getan für diesen einen Augenblick, in dem er sie endlich befreien konnte. Nun ist es soweit, jetzt kann sie ihrer Bestimmung folgen. An seiner Seite, als Unsterbliche und so bleibt sie, was sie immer war, seine Tochter.

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